Schlammvulkane und blauen Libellen
Am staubigen Strassenrand in Karakol überlegen wir den nächsten Schritt. Der kirgisische Taxifahrer fährt uns schlussendlich bis an die Grenze zu Kasachstan. Er meint vorab, sein Auto sei nicht gemacht für die Schotterstrasse, aber wir probieren es. Busse finden wir keine und die Zeit drängt - wir wollen noch heute bis nach Almaty (in Kasachstan) kommen, das sind insgesamt 391 Kilometer. Er wusste zwar, dass die Strasse zur Grenze nicht geteert ist, doch sein Staunen über die wunderschöne, saftiggrüne Berglandschaft mit intensiv violett und orangefarbenen Blumenmeeren scheint auch ihn so zu begeistern, als sähe er es das erste Mal und als wüsste er nicht, wie schön sein Land eigentlich ist. Für einmal sitzen wir in einem Taxi, das anständig gefahren wird, fast zu vorsichtig. Aber auch nur, weil er auf der Schotterstrasse Angst um sein Auto hat. Mitten auf einer flächeren, höheren Ebene, weit und breit nur Wiese und eine Strasse, fahren wir auf die Grenze zu. Eine ältere Frau schleppt sich in der Hitze der Grenze entgegen. Wir nehmen sie im Taxi mit. Die Grenze ist miniaturmässig klein, fast keine Autos, keine Passagiere, nur Grenzwächter sind zu sehen. Der eine mit den schönen stechend blauen Augen mustert unseren Pass und hilft uns dann, den Warenschein oder was das auch immer war, auszufüllen. Unser Gepäck wird einmal mehr kurz willkürlich angefasst, wir müssen den Reissverschluss ein Stück weit öffnen und das genügt dann meist. Es scheint ihnen zu aufwändig, das Gepäck dieser vagabunden Reisenden genauer anzuschauen. Das passt uns natürlich auch und wir setzen uns auf der kasachischen Seite an den Strassenrand in den schmalen Schatten des nebst der Militärhalle einzigen Hauses vor Ort. Grenzwächter gehen ein und aus, eine Frau mit Kindern scheint da zu wohnen. Wohnen? Wir sind mitten im Nichts, die lange gerade Strasse führt zum nächsten Dorf, das 35 Kilometer entfernt ist. In der Hitze und mit dem vielen Gepäck auch nicht wirklich ermunternd, dies zu laufen. Es kommt kein Auto. Es ist zwar noch Nachmittag, aber wir müssen noch weit. Die ältere Frau will auch hitchhiken. Ein Auto steht in der Passage der Grenzkontrolle. Es dauert lange. Und der Wagen ist voll. Auch der nächste. Ein Junge kommt auf einem Fahrrad aufs Haus zugesteuert, neben ihm herrennend zwei zottelige Hunde, die stark hecheln. Beim Haus angekommen legen sie sich direkt ins Gras in den Schatten und hecheln weiter. Später kommt uns einer der Hunde begrüssen. Für etwas Unterhaltung ist gesorgt. Einige Grenzwächter sind neugierig und wollen wissen, woher wir sind und ob wir Autostopp machen. Sie wünschen uns „good luck“, die zwei einzigen Wörter die sie neben „hello“ kennen. Wohl nett gemeint, aber es hinterlässt einen dumpfen Hintergedanken. Kommen wir heute noch weiter? Oder müssen wir mit den Grenzwächtern im Militärschlag schlafen? Oder draussen im Freien übernachten?
Nach einiger Zeit kommen weitere Autos. Entweder voll oder nicht gewillt, Backpacker mitzunehmen. Und dann, ein älteres Auto mit zwei jungen Männern - sie nehmen uns sofort mit. Leider hat es im Kofferraum keinen Platz für unser grosses Gepäck, also nehmen wir unsere schweren Rucksäcke auf die Knie. Wir sind froh, in ein Fahrzeug gestiegen zu sein. Und beim Wort „Almaty“ hat er zustimmend genickt, vielleicht schaffen wir es also direkt dort hin. Los gehts! Auch er fährt wie auf der Rennstrecke, er scheint sie aber gut zu kennen. Nach über zwei Stunden verstehen wir, dass wir doch vorher aussteigen müssen. Er fährt uns netterweise noch zu einem Geldautomaten und setzt uns bei der Strasse ab, die Richtung Almaty führt. 1 1/2 Stunden Autofahrt enfernt sind wir nun. Das Ziel ist nah. Ein älteres Ehepaar mit einem modernen Auto nimmt uns mit, aber sie wollen Geld und wir einigen uns schlussendlich in der Mitte des Preises. Zuerst etwas unsympathisch wirkend, tauen sie auf und wir probieren mit dem Handy Dictionnaire und unseren paar Wörtern uns etwas zu unterhalten. Der gegen 70-jährige Mann am Steuer hat viele verblasste Tattoos. Speziell für einen Mann in diesem Alter in diesem Land. Die grosse Stadt ist überfüllt mit Autos, die Strassen vierspurig. Bei einer Metrostation lassen sie uns raus, nachdem sie bestimmt fünf Mal gefragt hatten, wo unser Hotel sei. Doch die Adresse von Olyas Wohnung haben wir noch nicht. Wir suchen ein Restaurant mit Wifi und nach einigen Stunden schliesst uns Olya freudig vor ihrem Haus in die Arme. Olya haben wir kennen gelernt, als wir das zweite Mail in Tbilisi waren. Sie ist die Freundin von Pasha, dem tollen Street Art Künstler. Und sie sind aktuell auch für zwei Wochen zurück in Almaty. Ihr Wohnung ist relativ gross und kitschig, wir schlafen auf dem überdimensional grossen Sofa und fallen in einen tiefen Schlaf. Sie beide sind keine Frühaufsteher, vor allem Pasha zeichnet meist in der Nacht, wohl seine kreativste Zeit. Pasha hat viel zu tun, er bereitet sich auf seine Reise nach New York vor, wo er zu einem Künstlerprogramm eingeladen wurde. Olya stellt voller Freude einen Tagsplan zusammen und so entdecken wir die Stadt mit ihr. Sie meint als erstes, als wir an einer Verbotstafel vorbeispazieren, dass niemand die Verbote beachtet. „This is Kasachstan“, ihr beliebtester Satz. Almaty hat einen modernen Touch, anscheinend sei es die nebst Astana (heute auch auf den Namen des Präsidenten Nur Sultan umgetauft) im Norden die modernste Stadt in Zentralasien. Für uns ist es die Stadt der Einkaufszentren und Brunnen. Überall sprinkelt Wasser heraus. Olya ist total begeistert von den pinkfarben beleuchteten Wasserfontänen nahe der Mauer, die zur Abkühlung der StädterInnen dienen. Uns ist es alles etwas zu kitschig und eintönig. Was uns freut, sind die vielen Bäume und Grünflächen, auch wenn Silvio sich meist bücken muss, um unter den kaum zurück geschnittenen Bäumen durchzukommen. Oder sind die EinwohnerInnen alle klein gewachsen? Nicht wirklich, wie in vielen grösseren Städten ist das Bild der Einwohnenden sehr durchmischt und divers. Olya führt uns an Statuen des Präsidenten, Denkmälern und grossen Gebäuden vorbei. Manchmal erhascht man am Ende der grossen Strassen einen Blick auf die schönen, teilweise noch schneebedeckten Bergspitzen rund um Almaty. Hungrig schlingen wir die Lagman, leckere frische Nudeln in Tomaten- und Pilzsauce, runter. Hmmmh, dazu müssen wir auch noch ihre Mantis, eine weitere Form von (fettigen)Teigtaschen, probieren. Boah, wir spazieren einmal mehr vollgestopft aus dem Restaurant. Wie in allen zentralasiatischen Ländern ist das Essen sehr fleischlastig und hat oft den böckelnden Geschmack des Schaf-Fleisches. Wir sind nahe daran, Vegi zu werden. Zentralasien steht auf Teigtaschen verschiedenster Formen, fettige Spiegeleier und Plof - ein Reisgericht, das im Schafsfett in riesen Pfannen gekocht wird. Anscheinend am besten zu verzehren an einem Donnerstag, wenn das Fleisch am frischesten ist. Es wird sogar gesagt, es fördere die Libido. Wie auch immer, das Gericht hat es geschafft, sehr beliebt zu sein und kann auf dem Markt und in jedem Restaurant bestellt werden. Wenn es nicht ausverkauft ist. Am nächsten Mittag, sprich eher zum Frühstück erleben wir wieder mal Pasha live. Er zeigt uns sein Lieblingsrestaurant, das wohl kein Tourist finden oder dort eintreten würde. Oben in der Markthalle, um die breite Säule herum schlürfen Einheimische ihre Lagman-Nudeln. Von oben sieht das Markttreiben noch spannender aus und die Nudeln sind lecker, die Mantis die besten, die wir probiert haben. In seiner rechten Hand trägt Pasha ein Bild mit dickem, kitschig verziertem Rahmen. Er stellt es vorsichtig ab. Für sein neues Projekt, sagt er. Mehr verrät er nicht, wie immer. Er will uns nun Kuruts kaufen, kurz gesagt „Kurt“. Kleine weisse Kugeln, die süss aussehen. Doch wir kennen es vom Vorabend beim Essen seiner Mutter. Es sind Kamelmilchkugeln, hart wie Stein und vom Geschmack her wirklich nicht unseres. Wir waren froh, als seine Mama meinte, wir müssten es nicht fertig essen. Uns wäre bald beiden schlecht geworden - und das zum Dessert! „Die hier sind aber frisch und ganz anders. Lecker, probiert!“ Wir lehnen dankend ab und betonen, dass wir es am Abend probieren, wir hätten noch zu volle Bäuche. Es wird zum Running-Gag. Auch ihre fermentierten Milchdrinks, die ewig in der Hitze ungekühlt stehen und die sie immer und überall trinken, lösen bei uns keinen Appetit aus. Offene, anscheinend koreanische Salate werden in der stickigen Markhalle angeboten, das Fleisch brutzelt in der Hitze ohne Kochtopf vor sich hin. Es ist spannend, aber mit den vollen Mägen sind wir froh, in der Kleiderhalle angelangt zu sein. Abgesehen von den Märkten gibt es Kleider in Läden zu kaufen, die bei uns auch überall zu sehen sind. Langweilig, diese massenproduzierte Billigware überall auf unserer Welt.
Wir treten raus in die Hitze und nehmen ein Taxi, sprich stehen an den Strassenrand und warten, bis bald ein Auto anhält. Es gibt zwar offizielle Taxis, doch in dieser grossen Stadt gibt es ein ungeschriebenes Automitfahrgelegenheits-Gesetz. Jede/r der Lust hat, scheint Leute mitzunehmen. Aber nur wenn es auch die gleiche Route ist, die sie sowieso fahren. Und gezahlt werden muss auch. Es scheint ein Taxi-Subsystem entstanden zu sein, weil es viel Verkehr hat oder zu wenig ÖV oder als Zusatzverdienst. Die Stadt ist auf alle Fälle in Bewegung. Und in der Hitze läuft niemand weit. Ausser wir, wir versuchen trotzdem Vieles zu Fuss zu gehen. Als wir am Sonntag unwissenderweise von Pasha, der wenig preisgibt, auf den Hausberg befördert werden, merken wir es zu spät. Wir dachten, wir gehen in der Stadt spazieren, bis wir realisieren, dass die uns den Hausberg zeigen wollen. Mit Schnee! Und wir sind wie sie in Turnschuhen, kurzen Hosen und T-Shirts. Echt jetzt? Wandern oder wie? Wir sind aber schon im Bus, der nach oben zur Seilstation fährt. Aber hier wird wenig gewandert. Es ist eine Wochenend-Attraktion, die in der Seilbahn gemacht wird. Einmal rauf, Fotos in der kühlen Umgebung vor dem schönen Berg und wieder runter in der Bahn. Wir wären gerne etwas gewandert, wobei mit der Ausrüstung dann doch auch lieber nicht. Zum Abendessen gibt es wieder mal Shashlik, Fleischspiesse mit Brot und in Essig eingelegte Zwiebeln. Doch diese Geheimecke von Pasha und Olya ist wirklich vielversprechend. Sie zwei streiten sich darüber, wer von ihnen diesen Ort zuerst kannte. Anscheinend will die Stadtregierung solche kleinen Orte verbannen, das Strassenbild soll modern und „gepflegt“ erscheinen. Zum Glück hat dieser authentische Ort bis jetzt noch überlebt. Genau solche Nischen fehlen uns in den meisten zentralasiatischen Städten. Die egozentrischen Präsidenten der meisten Stan-Länder wollen ein modernes Image. In einer Stadt werden sogar Häuser abgerissen, neue identische aufgebaut, um eine Musterstadt zu bieten. Oder schöne Mauern um die ärmsten Quartiere runderhum gebaut, sodass nicht hinter die Fassade geblickt werden kann. Olya und Pasha stehen der Regierung kritisch gegenüber, wie wohl viele vor allem junge Menschen. Doch meist nicht laut. Ein Video auf seiner Facebook-Seite musste er löschen. An einem dieser Tage in Almaty ist ein kritischer Tag, um aus dem Haus zu gehen. Es seien Proteste geplant und wir sollen nicht raus, sie würden alle mitnehmen. Es ist der Geburtstag des Ex-Präsidenten. Auch Pasha traut sich nicht raus, er meint nur „Wenn du Vögel fütterst, verhaften sie dich. Wenn du im Kaffee sitzt, wenn du auf den Bus wartest. Das Gefährliche ist nicht der Protest, sondern die willkürliche Polizei überall.“ Später gegen Abend, als sie auch in den sozialen Kanälen nichts Dramatisches gehört haben, gehen Silvio und ich noch etwas raus. Wir sehen nur an einer Ecke auch als es dunkel ist, noch viele Polizisten Wache stehen. Sehr wohl ist uns nicht.
Almaty ist auch die Stadt der Autos. Es hat ständig viel Verkehr und grosse Strassen. Immerhin fahren hier auch die Frauen Autos. Aber wir sehen fast keinen Velofahrer, und das obwohl die Stadt relativ flach ist. Sie fahren in ihre tiefgekühlten Malls. Oder raus in die Natur. Wir wollen den Big Almaty Lake besuchen, doch Olya‘s Mutter, die uns am Vorabend in ein chices Restaurant eingeladen hatte, meint, wir sollen besser mit ihr an einem Wochentag früh raus, dann habe es nicht viel Verkehr. Es ist schon hell um sechs Uhr morgens, als es klingelt. Beladen mit grossen Plastiktüten steht Olyas Mutter schnaufend in der Tür. Sie schaut ihre Tochter kritisch an und meint, sie solle lange Hosen anziehen. Da oben hätte es Pflanzen, die stechen. Und bessere Schuhe und sowieso, Hut mitnehmen und habt ihr genügend Wasser? Wir zwei Touris stehen schon länger bereit und beobachten die Mutter-Tochter- Diskussion. Noch etwas müde hüpfen wir in das überdimensional grosse Auto. Die letzte Tankstelle vor dem Berg ist noch geschlossen sprich hat Personalwechsel - welcher 15 Minuten dauert! Oben angekommen warten schon mehrere Autos mit offener Gepäcktür auf Besucher, die vielleicht Wasser, Kaffee oder Snacks wollen. Es zerstört etwas die schöne Natur dort oben. Am Wochenende scheint es rammelvoll zu sein und auch an diesem Tag sind um 7 Uhr einige Menschen da. Die Mutter kauft uns sofort Kaffee und wir steigen etwas den Berg runter, um näher am See zu sein. Wir dachten, die Mama fahre uns hin und müsse dann zu ihrem dreijährigen Kind und arbeiten gehen, doch da die selbst so überwältigt ist von diesem Ort, den sie selbst noch nie besucht hat, scheint sie ihre Pläne geändert zu haben und bleibt mit uns bis am Mittag. Der See ist weissblau, die Berge rundherum ragen in die Höhe - schön! Fast wie in der Schweiz kommt es uns vor. Ein Hochzeits-Paar schiesst Fotos auf einer Picknickdecke, auf dem erhöhten Stein und in verschiedensten Outfits. Das Fotoshooting-Team hat sogar eine Drohne dabei, die die idyllische Atmosphäre durch ihr lautes Summen etwas zerstört. Und weiter geht es zu einem reissenden Fluss. Ahhh wunderbar kühlend ist es da! Der Morgen-Sonnenschein wirft warmes Licht auf das Bergtal mit dem reissenden Fluss. Wir wissen wieder mal nicht genau, was genau der Plan ist und wandern los „Kommt einfach mal mit, ihr seht es dann! Es gibt auch einen Wasserfall“. Olya‘s Mutter beginnt nun von ihren Kindheitserinnerungen dieses Flussgebiets zu erzählen. Sie hat etwas Mühe und wirkt ungelenk und unsicher, in ihren Sandalen, kurzen Hosen und der Handtasche - das Outfit, das sie ihrer Tochter abgeraten sprich fast schon verboten hat. Auch Olya wirkt unsicher. Immer wieder klettert man über kleine, teilweise rutschige Steine und balanciert über Brücken, die in der Schweiz als lebensgefährlich eingestuft würden. Über eine Stunde später sind wir am Wasserfall angelangt - obwohl es eher einem kleinen Brunnenausfluss über einen kleinen Felsvorsprung gleicht. Silvio sieht auf der Karte einen grossen Wasserfall und schlägt dies motiviert vor. Die zwei Kasachinnen scheinen nicht so begeistert von dieser Idee und sind ermüdet. Doch dann kommen sie doch noch ein Stück mit, bis sie endgültig umkehren und wir abmachen, uns beim Parkplatz wieder zu sehen. Wir zwei springen wie junge Gämse die Steine weiter hoch und bei einem Kletterabschnitt wird es auch uns fast etwas mulmig und wir sind froh, sind die beiden nicht dabei. Bis nach oben ist es steil und geröllig, das kann doch nicht der normale Weg sein?! Wir heben uns an Wurzeln und starken kleinen Bäumen fest. Das Ganze wieder hinunter wäre kaum möglich. Oben angekommen sind wir erleichtert und bestaunen das Blumenmeer. Die meisten Blumen und Gräser sind alle grösser als ich und beinahe Silvio‘s Grösse. Ich versinke darin! Die Panorama-Aussicht ist wunderschön und wir würden gerne weiterziehen, doch kehren lieber um. Auf dem Weg zurück, holen wir die beiden auf dem eigentlichen Wanderweg ein und sie sind völlig erschöpft, die Mutter anscheinend einmal umgefallen. Aber auch sie fanden es trotz allem wunderschön! Das kalte Fluss-Wasser ist erfrischend im Gesicht und auf dem Kopf. Was für ein toller Morgen!
Wir bleiben insgesamt zwei Wochen in Almaty, gehen einmal mehr in den (chaotischen) Zoo, auf den Markt, viel in Kaffees und in den grossen grünen Parks, die zum Glück die Stadt schmücken und etwas Kühle bei der bald 40-gradigen Hitze bieten. Eine Bar mit verzierten Wänden und jungen Leuten zeigt uns nur einen Einblick in die kleine etwas alternative Szene. Der Rest scheint überall etwas das Gleiche zu sein, Diversität ist wenig sichtbar und auf den Blogs für Ausgehtipps findet man jenste Beiträge von Männern, die Bars und Clubs vorschlagen, in denen man einfach „asiatische Frauen“ anbaggern könne. Am Schluss haben wir das Gefühl, wir sind etwas zu lange in dieser eher monotonen Grossstadt geblieben, aber trotzdem glücklich darüber, Zeit an einem Ort und vor allem mit unseren zwei kasachischen Freunden verbracht zu haben. Vor unserer Abreise wollen wir unbedingt in die Canyons in der Nähe, was nur mit einer Tour möglich zu sein scheint und etwas Geduld für die Organisation braucht. Nur noch eine Tour mit dem russisch sprechenden Uncle Sasha ist möglich, das Bild von ihm vor seinem Auto überzeugt mich weniger, aber wir lassen uns darauf ein. Und es stellt sich heraus, dass der Uncle Sasha, der sich als Alexander bei uns vorstellt, ein ganz lieber, pensionierter Kerl ist. Er hat 20 Jahre als Ranger in diesem Nationalpark der Canyons gearbeitet. Ein Spezialist also. Pünktlich holt er uns mit seinem 4x4 ab und fährt uns angenehm zu den ersten Canyons. Wir haben sie uns schön vorgestellt und das Pendant zum Grand Canyon ist in echt tatsächlich sehr beeindruckend! Durch die ersten Canyons spazieren wir mit Uncle Sasha gemütlich durch, er ist nicht mehr so gut zu Fuss unterwegs. Dafür hat er ein stechend scharfes und geschultes Auge und erkennt die kleinen, gut getarnten Canyon-Mäuse direkt. Mit einem speziellen Pfiff bringt er sie sogar dazu, auf zwei Hinterbeine zu stehen. Als wären es seine Zirkusmäuse. Auf dem Rückweg kommt er stark ins Atmen und obwohl wir Glück haben mit dem Wetter, wird es langsam heiss. Uncle Sasha will immer wieder eine kleine Pause machen „little smoking“ gehört zu seinen paar English Wörtern. Wir lachen viel, obwohl wir keine gemeinsame Sprache haben. Nach mehreren Canyon-Panorama-Aussichten und dem legendären Picknick auf Campingstühlen à la Tourist 100% sind wir am Abendziel angelangt. Die Abenteuerfahrt zur Schlucht hinunter ist fast wie eine Achterbahnfahrt. Doch Uncle Sasha hat alles im Griff, er ist ein geübter Fahrer und kennt das Gebiet auch im Schlaf. Wir stellen das Zelt auf, geniessen den Fluss, die Luft und die Aussicht. Uncle Sasha zaubert für uns ein Menu auf dem Gasherd und wie wir später von seiner Familie fahren, war ein Vegi-Menu, das wir bestellten, seine grösste Herausforderung und Sorge dieses Tripps - er koche immer nur mit Fleisch. In der Nacht schleicht sich ein Tier an unser Essen heran, doch Uncle Sasha, der im offenen Camping-Bett schläft, hat einen Holzstock neben sich und ist bereit, alles zu beschützen. Er erzählt am nächsten Morgen von einem Tier, mimt seine Bewegungen und lacht lauthals. Eine Theatershow. Wir sind froh, war es anscheinend nur etwas marderähnliches und nichts grösseres. Die tiefblauen kleinen Libellen tanzen im Morgenschein, der Fluss rauscht in seinem Rhythmus.
Auf dem Rückweg sehen wir nochmals eine andere Art Canyons, sind überwältigt von der kargen, aber wunderschönen Natur und sind froh, dass wir keiner Schlange begegnet sind. Uncle Sasha weiss, dass wir abends an den Bahnhof und weiter nach Turkestan wollen. Bevor er uns ablädt, lädt er uns spontan in sein Zuhause ein, lässt uns eine erfrischende Dusche nehmen und seine Frau zaubert uns ein leckeres Abendessen. Ich hoffe noch, dass er eventuell einen Hund besitzt und prompt: natürlich einen Jagdhund! Seine Tochter spricht wie wir bereits am Telefon gehört haben, gut English und plant, als ‚digital nomad‘ bald arbeitend reisen zu gehen. Sie will einige Tipps von uns und fragt uns aus, bis es Zeit ist, an den Bahnhof zu fahren. Im Bahnhofscafé werden wir von einem Einheimischen mit einem zusätzlichen gesponserten Bier und Eis überrascht. Der Zug fährt ein und alle drängeln sich mit ihren bis oben gefüllten grossen Plastiktaschen, Kartons mit Bildern von Elektrogeräten drauf und Kindern auf dem Arm aufs Geleis. Auch schon vorher beim Bahnhofseingang während dem uns nun bekannten Scan-Ablauf wie am Flughafen, hatten sie alle bereits unhöflich gedrängelt. Zum Glück haben wir das Billett schon einige Tage zuvor gekauft, denn die Frau am Schalter hatte Mühe, unseren Pass zu entziffern, nahm zuerst ihre Lupe, fragte nach den Namen und rief dann nach einem hilfslosen Moment ihre Mitarbeiterinnen zu sich. Zu dritt starrten sie unsere Pässe an und tippten langsam etwas in die Computertastatur. Nach der Frage, ob wir aus Tschechien seien, hatten wir die Hoffnung beinahe aufgegeben, noch ein gültiges Zugticket zu kriegen. Und gleichzeitig amüsierte uns das kleine Theater-Spektakel hinter der Scheibe. Eigentlich hat der CH-Pass ein Verzeichnis in vielen Welt-Sprachen, doch das war wohl zu kleingedruckt, auch mit der Lupe.
Wir warten also mit der Drängel-Masse am Perron und wie so oft, öffnet der Zug seine Türen erst ca 15 Minuten nach Zugeinfahrt, einmal war es sogar fast eine Stunde später! Wir setzen uns auf eine Sitzbank auf dem Perron und schauen dem Treiben zu. Ein Polizist kommt in schrammen Schritten in unsere Richtung, den Hut scharf aufgesetzt, die Knöpfe halten nur noch knapp die zwei Knopfleisten zusammen. Und er meint es ernst. Er visiert uns an und fordert mit strenger Miene, die Pässe zu zeigen. Als ich meinen hinstrecke, zeigt er nur auf Silvio, der mit einer Zigarette im Mund noch nach seinem Pass sucht. Wir verstehen schnell, dass das Problem die Zigarette ist und er lässt nicht draussen mit sich diskutieren. „Mitkommen“ heisst es und innert paar Sekunden stehe ich alleine mit allem Gepäck auf dem Perron. Die Leute rundherum diskutieren, ich hoffe nur, dass sie ihn nicht gleich ins Gefängnis stecken und er bald wieder heil zurück ist. Die Willkür unter den Polizisten ist bekannt. Mein Atem wird wieder langsamer, als ich Silvio 10 Minuten später wieder auf dem Perron sichte, mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Anscheinend hätten sie zu dritt nach Geld gefordert, doch schlussendlich ihm als Souvenir malaysisches Geld geschenkt. Schräg und willkürlich! Die Zugtüren öffnen sich kurz darauf und wir rattern mit dem moderneren Zug Richtung Turkestan.
Die Stadt ist der einzige Ort in Kasachstan der auf der architektonischen Moscheen-Ebene mit Uzbekistan mithalten kann. Es gibt nur Hotels und wir sind froh, haben wir eine Klimaanlage - das ist mit Abstand der bisher heisseste Ort - 43 Grad, auch im Schatten und abends. Die Hitze ist nur kurz aushaltbar, wie können diese Menschen bei diesen Temperaturen sogar noch auf dem Bau arbeiten? Nebst dem weltberühmten Mausoleum von Khoja Ahmed Yasawi gibt es wenig zu erkunden, wir versuchen unseren weiteren Reiseweg zu planen. Von Olya und Pasha wissen wir, dass sie nicht mit dem Zug nach Almaty fahren konnten, denn es gab eine Explosion in einem Munitionslager in der Nähe der Geleise und die Strecke war gesperrt. Doch dies scheint immer noch der Fall zu sein. Schon in Almaty hiess es, wir müssten das Ticket dann in Turkestan buchen. Doch auch in Turkestan scheint es nicht möglich zu sein. Der Receptionist im Hotel meint, von der Stadt Shymkent aus sei es möglich. Also, los gehts nach Shymkent, einige Zugstunden entfernt. Auch diese Stadt hat wenig Flair und wir freuen uns vor allem über eine schöne Hundewelpen-Begegnung, die uns sehr an unsere Loki erinnert. In Shymkent meint die Frau am Schalter mit Hilfe von der English Telefon- Übersetzung ihrer Tochter, nach Aqtau gebe es keine Tickets. Bis Ende Juli. Einmal werden die Explosionen erwähnt, einmal weil alles ausgebucht ist. Für einen ganzen Monat? Aqtau war jetzt nicht eine besonders attraktive Destination und Touristen sehen wir praktisch keine. Noch komischer scheint uns, dass die angebliche Explosion an einem Ort war, bei dem wir die Tage zuvor mehrmals durchgefahren waren. Was genau steckt also dahinter? Was wird uns nicht gesagt? Unser Plan alles per Land zu reisen, scheint bald ein Ende zu haben. Wir sollten gegen Ende Juli in Georgien sein, denn Seraina und Karin kommen uns besuchen. Doch die Züge sind bis Ende Juli ausgebucht oder einfach nicht buchbar. Wohl auch im August. Durch Tadschikistan und dann Turkmenistan ist es schwierig ein Visum zu kriegen, dann müssten wir noch durch den Iran und Armenien zurück. Zu knapp und auch zu kompliziert! Nach mehreren Anläufen und Nachfragen an verschiedenen Orten und via Internet bleibt uns leider nichts anderes übrig, als doch zu fliegen. Etwas nieder geschlagen buchen wir die Tickets. Leider endet das Ganze mit einem blöden Buchungserlebnis, wobei wir jetzt noch - über einen Monat später - versuchen, das Geld zurück zu kriegen. Es wurde, obwohl als Fehlbuchung gemeldet, auf der Kreditkarte abgezogen. Nach dem eher teuren Handyverlust auch das noch!
Von Tashkent aus fliegen wir nach Baku in Aserbaidschan. Mit uns im Flugzeug wieder fast nur Männer - immerhin etwas, das uns an die Schifffahrt erinnert. Es scheint, als sei eine aserbaidschanische Gruppe von Jungs das erste Mal im Flugzeug. Sie sind nervös, fotografieren alles und filmen sich gegenseitig. Und sie starren - definitiv Aserbaidschaner ;-).Ein Türke, der Deutsch kann und in der Welt herum fliegt, meint zu uns in der Ankunftshalle „Hier arbeiten alles nur Hunde. Sie betrügen dich die ganze Zeit.“ Finden wir einen schlechten Vergleich! Aber na dann, auf ins Gedränge der Starris. In ihrer Hauptstadt haben wir nun noch etwas Zeit, diese Kultur besser kennenzulernen. Die Stadt, die wir vor Kasachstan kurz kennengelernt hatten, scheint uns nun nach Zentralasien direkt lebendig, europäisch und ordentlich. Anstatt Dill in jedem Essen fliegt uns wieder der Korianderduft in die Nasen. Die Wohnhäuser besitzen Balkons und schöne Verzierungen. Im Hostel spielen wir mit jungen Einheimischen ein Runde Uno und sind fasziniert, wie dynamsich und laut das hier zu und her geht. Ein älterer Mann im Hostel meint noch, ich solle dringend „sonnenbaden“ gehen, ich sei zu weiss. Wenn der wüsste, wie ich in der Wüstensonne baden ging. Baden könnte man fast auch in den brodelnden ‚mud volcanoes‘, die kein Lava sondern flüssigen, kalten Lehm aus ihren Löchern blubbern lassen. Der Bruder des Hostelmanagers fährt uns dort hin und nimmt seinen 12-jähirgen Neffen gleich auch mit. Dieser kreischt jedes Mal lauthals und steckt damit uns alle an, jedes Mal wenn eine riesen Blase grösser wird und platzt, erschrecken wir und sind bis ins Gesicht grau gesprenkelt am Lachen. Auf dem Weg zurück fahren wir an jensten Öl-Pumpen vorbei. Auf und ab bewegen sie sich, 24 Stunden lang.
Diese Email schreibe ich in der Hängematte im Garten des chaotischen Hostels in Sheki (Aserbaidschan) weiter. Ich bin aber etwas abgelenkt, und hoffe, dass der nächste Apfel nicht auf meinen Kopf fallen wird. Im Hintergrund höre ich den Ping-Pong-Ball und drinnen sind die Verwandten wild am diskutieren und - UNO spielen. Es scheint fast schon ihr Nationalspiel zu sein. Nach zwei Nächten schlechtem Schlaf auf sehr wackeligen Kajütenbetten, einem Spaziergang zum genau an diesem Tag geschlossenen Khan-Palast und der Freude am Hunde-Rudel, das uns durchs Städtchen begleitet, ziehen wir eine Stadt weiter nach Ganja. Dort ist das Haus, das mit vielen Weinflaschen gebaut und verziert ist, eine Sensation. Die Fahrt zum Busbahnhof mit den dazugehörigen, spannenden Gestalten begeistert uns jedoch gleichermassen. Einmal mehr wird uns mehrmals das Handy ans Ohr gelegt und irgend eine Stimme probiert auf English zu übersetzen. Wir probieren unser Glück am nächsten Tag und schaffen es, den direkten Bus nach Tbilisi zu finden. Mit Sitzplatz. Obwohl sie gesagt hatten, es hätte nur noch Stehplätze.
Auch auf dem Weg nach Tbilisi fällt uns auf, dass sie ähnlich wie in Armenien ihren Abfall einfach in der Natur deponieren. Da hat der Kaukasus sogar im Vergleich zu Zentralasien in diesem Bereich einiges mehr aufzuholen. Unser Fazit nach dem kürzeren Aufenthalt in Aserbaidschan: ich würde ein Café für Frauen eröffnen und Silvio ein Hosengeschäft für kurze Männerhosen.
Zum dritten Mal in Tbilisi erwartet uns nicht nur die uns nun bald altbekannte Stadt, sondern nebst den Freunden dieser Stadt auch Besuch von zwei Freundinnen aus der Schweiz!
Da dieses Mail wohl bald einem Buch gleicht, melde ich mich mit unseren georgischen und türkischen Erlebnissen im nächsten Mail. Wir sind aktuell im schönen Griechenland angekommen.
Auf bald!
Bigna und Silvio