Von Freunden, Hunden und Eseln

Tbilisi, Sighnaghi, Lagodheki, Trabzon, Istanbul, Thessaloniki, Athen, Andros, Meteora, Sivota, Igoumenitsa, Bari, Italien, Zürich

Etwas verwirrt schauen sie um sich. Sehen sie uns? Das Abholschild mit „Frau Rüdlisüli und Frau Füdlisüli“ verstehen wohl nicht alle. Zum Glück. Doch jetzt, sie haben uns gesehen! Bevor sie unser Scherz-Abholschild gelesen haben, fallen wir uns in die Arme. Seraina und Karin sind tatsächlich in Tbilisi - aus Fleisch und Blut! Irgendwie so vertraut und doch in so einer anderen Welt mitten in unserer Reisewelt. Wir sind uns nicht sicher, ob der Herr während der einstündigen Busfahrt ins Zentrum unser lautes Lachen meinte, als er geärgert los brüllte, aber wir tauschen uns weiterhin freudig aus. Und das anständig schweizerisch. Ok, das Lachen ist vielleicht zwischendurch etwas lauter. Schade hat es ihn nicht angesteckt. Da unser geliebtes Hippie Hostel ja leider der Vergangenheit angehört, haben wir uns etwas Neues gesucht und für die vier Nächte eine gemütliche Wohnung im Zentrum in der Nähe der Oper gefunden. Ein altes Haus mit knarrenden Böden, bei denen man das Gefühl hat, man laufe über kleine Skate-Hügel auf und ab. Und rutschig sind sie auch, merke ich, als ich mit Schuss aus dem Bad direkt auf den Boden fliege und eine schöne blaue Tattowierung am Bein kriege. Die Wohnung ist gemütlich und das Küchelein wunderbar für einen ausgiebigen Geburtstags-‚Zmorgä‘ mit georgischem Brot und: SCHWEIZER KÄSE UND WURST. Hmhmhm, wortwörtlich ein Festmahl! Die zwei guten Seelen haben alle unsere Schweizer Heimatsgelüste erfüllt. Wir hatten es nämlich schon etwas übertrieben mit unserer Wunschliste.

Silvio wünscht sich für seinen Geburtstag einen gemütlichen Abend in der Wohnung und möchte für alle kochen. Also gehts auf zum grossen Markt! Wir zeigen den zwei Frauen noch Pasha‘s Lieblingswein-Ecke beim Markt, wo wohl 24 Stunden Wein getrunken wird. Hätte uns Pasha nicht dorthin geführt, wären wir wohl nie da reingetreten. Auf den ersten Blick scheint es eine Alki-Höhle zu sein, doch irgendwie hat es seinen eigenen Charme. Zur Feier des Tages stossen wir mit Rotwein am Nachmittag um drei Uhr auf Silvio an! Er geht danach schon in die Wohnung und bereitet sein Abendmenu vor, während wir drei Frauen noch weiter durch den grossen Markt ziehen. Abends stossen Sadi und Oleg dazu und es gibt viel Pasta, Bier, Wein und zum Dessert eine etwas kitschige Torte, die äusserlich mehr verspricht als innerlich. Das muss noch in der Schweiz mit der Sprüngli ‚Sarg-Torte‘, die wie ein grosses Parliné jeden Dessert triumphiert, nachgefeiert werden! Jeden Morgen ist jemand anderes an der Reihe, das frische georgische Brot zu holen - und es scheint, als sei es jeden Tag einen anderen Preis. Wir wechseln am nächsten Morgen mal die Bäckerin, die so willkürlich ihre Preise setzt. Und dann gehts auf in die Altstadt mit den Bädern, alten Häusern mit verwinkelten Treppen, dem schönen Aussichtspunkt und die Mama Georgia. Auf dem Rückweg kommen wir nochmals beim Teppichladen vorbei und tatsächlich ist der Teppich, den Silvio und ich zwei Tage zuvor verliebt angeschaut hatten, verkauft. Schade! Wir schauen uns um, was schlussendlich in den Laden führt und nach längerem Diskutieren und Begutachten jenster Teppiche mit verschiedensten Mustern und Farben entscheiden wir uns für einen, der nach Rückkehr unsere gemeinsame Wohnung schmücken wird. Und abends gibt es: die leckeren der leckersten Teigtaschen Khinkali! Wir weihen die zwei Frauen in das Handessen der Khinkali ein, jeder Safttropfen auf dem Teller ist ein Punkteabzug. Hmmhmmh, diese Teigtaschen müssten wir wirklich Zuhause einführen. Zum Glück ist unser temporäres Zuhause nicht weit weg, sodass wir unsere vollen Bäuche nicht weit tragen müssen.

Auch beim zweiten Mal überwältigt mich die Grösse der Sameba-Kathedrale auf dem Hügel. Nun kenne ich auch den Weg hinten durch das weniger touristische Quartier. Nebst viel Kaffee und Quatschen, dem Graffiti-Quartier und farbigen Hipster-Ort Fabrika ziehts uns in eine kleine Sackgasse in eine Wohnung, in der eine georgische Desigerin ihre Kleider ausstellt. Als jemand die Türe öffnet, erkennen wir die nette Verkäuferin sofort wieder - sie braucht ein paar Sekunden länger, freut sich dann aber und zeigt uns stolz die verschiedenen Räume. Am Vortag waren wir in einem kleinen Laden der gleichen Desigerin. Fasziniert von ihren Stoffen und Schnitten bestaunen wir den grösseren Teil der Kollektion und wir bleiben mit Wein, Geplauder und vielem an-und abziehen über eine Stunde in dieser Wohnung. Ihre Hosenschnitte sind genial und so enden wir, obwohl alle drei ganz unterschiedliche Körperformen haben, mit dem gleichen Hosenschnitt aber anderen Stoffen in unserer Einkaufstasche. Abends gibts dann für Silvio, der für sich alleine einen Tag gemütlich gestaltete, eine live Fashion-Show im breiten Gang der Wohnung. Alles im Rucksack verstaut, geht es am nächsten Tag ostwärts los zu dem pittoresken Städtchen Sighnaghi. Von einer Bushaltestelle zur andern wandern wir umher, bis wir endlich den richtigen Busstand gefunden haben - und direkt noch in den Bus reinpassen. Im Gang lassen sich kleine Klappstühle installieren. Die Hintersten im Bus haben nun keine Chance mehr, aus dem Bus zu kommen. Ausser sie klettern direkt aus dem hintersten Fenster. Und prompt wollen auch die, welche auf den hintersten Plätzen sitzen, als erste hinaus. Hopp, aufstehen, hochklappen, eins nach dem andern, raus aus dem Bus und im Rückwärts-Schritt wieder zurück auf die kleinen Stühlchen. Und ohweh, da überlegt sich noch einer 2 Minuten nach einer dieser Prozeduren, „schnell“ pinkeln zu gehen.

Kleiner als gedacht, kann man das farbige Städtchen Sighnaghi zwischen den Bergen gut zu Fuss erkunden. Strassenhunde-Gangs dominieren das Bild, ein kleiner Markt im Mini-Park verkauft die essbaren ‚Kerzen‘ (Nüsse umhüllt mit gehärtetem Trauben-Gelee, an einer Schnur in Form einer Kerze) und viel farbig Gefilztes wird angepriesen. Wir wohnen in einem grossen Guesthouse mit wunderschönem Ausblick ins Grüne. Der obere Stock wo wir unser Zimmer haben, ist zum Glück etwas aufgeräumter als unten in ihrem Wohnbereich. Der kleine Badezimmerboden jedoch wird jedes Mal patschnass, wenn jemand geduscht hat, denn es hat keine Tür und keinen Vorhang. Die Familie besitzt zwei schöne Schäfer-Hunde. Eines davon noch ein Welpe. Doch die Mama oder Grossmama scheint nicht zufrieden damit: die Mutterhündin sei sehr brav, aber der Kleine, aiaiaiai, der halte sich nicht an Regeln. Wir finden den Welpen jedoch sehr welpig und nicht aufdringlich. Im Gegenteil. Er weiss wohl nicht, was er tun soll, weil es gar keine klaren Regeln zu geben scheint. Bei Ankunft werden wir nach der Begrüssung gleich an den Tisch eingeladen, um etwas Kleines zu essen und natürlich: Wein zu probieren, Prost! Im Social Café erklärt uns eine Frau ausführlich über ihr Projekt. Das Café, das eben nicht nur ein Café sondern auch ein kleines Museum und eine Institution für Menschen mit Beeinträchtigungen ist, wird uns stolz vorgestellt. Auf einem Mini-Balkon trinken wir etwas und schauen direkt auf die Gasse. Sighnaghi wirkt eher wie ein Dörfchen. Schön gelegen, bietet es auch verschiedenste Möglichkeiten für Ausflüge in die Umgebung. Wir entscheiden uns für die Weintour am nächsten Tag. Mit zwei Frauen aus Estland und dem ca. 10jährigen Sohn ihres Freundes, fahren wir im Mini-Bus los zum ersten kleinen Weinkeller. In etwa so lebt ‚unsere’ Hündin Loki. Es erinnert uns an den Tag, als wir ihr bei der Familie auf dem Weingut in Armenien adieu gesagt haben. Und wir haben News gekriegt: anscheinend hat sie drei Welpen zur Welt gebracht. So was, ‚unsere‘ junge Hündin ist Mama geworden! Wir sind uns sicher, dass sie das mit Bravour meistert. Und wir sind froh, hat sie ein stabiles Zuhause und musste sie diese Welpen nicht irgendwo draussen oder mit uns unterwegs zur Welt bringen. Auch wenn wir sie immer wieder sehr vermissen.

Bereits ganz leicht beschwipst steigen wir wieder ins Auto. Zum Glück gab es für den Magen noch etwas frisches, leckeres georgisches Brot dazu. Der nächste Ort ist ein grosses industrielles Weingut, das bei internationalem Wettbewerb einige Preise abgeräumt hat. Zusammen mit vielen anderen Touristen probieren wir uns durch die Weine und kriegen eine englische Führung durchs Gut. Das kleine familiäre, charmantere Weingut zuvor hat uns allen etwas besser gefallen. Mittagessen gibts im mit Air Conditioning unterkühlten Restaurant, der 10-jährige Junge scheint uns mittlerweile allen etwas zu aufdringlich und ist auf der Weintour definitiv etwas Fehl am Platz. Sein Papa hatte ihn einfach mitgeschickt. Neben dem Restaurant fährt uns der Tour-Führer noch zu einem See und meint, wir hätten 30 Minuten Zeit. Straffes Programm! Wir hatten voller Freude die Badesachen eingepackt, doch als wir dann vor Ort den See sehen, hat niemand mehr Lust, da reinzusteigen. Es ist auch bald schon Abend und wir haben noch zwei Stationen vor uns. Eine schöne Kirche auf dem Hügel und ein weiteres Weingut. Eigentlich sind wir alle langsam etwas müde, doch das letzte Weingut wirkt sehr einladend und der Guide erklärt am anschaulichsten die Prozesse und Geräte, die fürs traditionelle Herstellen des Weins gebraucht werden. Eine grosse Gruppe Touristen füllt sich an diesem Ort die Mägen. Sie sind nur kurz vor uns reingekommen und haben bereits alle gegessen. Der Guide meinte auch, „lasst bitte schnell die asiatische Reisegruppe durch“, die sich tatsächlich die Innenräume in knapp 5 Minuten angeschaut hatte. Eine Raupe voller Menschen bewegt sich durch die Keltnerei. Und beim Essen spielt eine Reisende allen noch etwas auf dem klimprigen, wohl alten und verstimmten Klavier vor. Müde steigen wir bei angebrochener Dunkelheit ins Auto und werden zurück nach Sighnaghi kutschiert. Obwohl es schon spät ist, probieren wir unser Glück, in einem Restaurant noch Khinkali zu kriegen. Glücklich setzen wir uns an den Tisch und bestellen 16 Khinkali. Doch als der junge Serviermann den Teller bringt, zählen wir nur 9. Und es stellt sich heraus, dass er uns falsch verstanden hat. Und jetzt sei es zu spät, die weiteren zu kochen. Es brauche zu lange und müssen immer 5 in einem Topf sein. Tja, dann gibt es halt Pommes und eine Käse-Brot-Schlange am Spiess. Fast wie über dem Lagerfeuer.

Den nächsten Tag geniessen wir im Städtchen, spazieren etwas auf der Stadtmauer und kaufen eine Stunde an einem Pool in einem Hotel. Tagsdrauf gehts im kleinen, engen stinkenden Bus nach Lagodheki. Wir haben das Gefühl, dass er uns die Tickets zum Touripreis verkauft und protestieren. Doch als auch eine Einheimische eingreift und laut gegen uns protestiert, bezahlen wir ihm, was er will. Er wäre wohl nicht abgefahren. Der ältere Taxifahrer im nächsten Ort versteht kein einziges Wort English. Wir zeigen ihm die Unterkunft auf der Karte, die er etwas verdutzt studiert. Wir sind immer wieder erstaunt auf dieser Reise, wie weniger Taxifahrer Karten lesen können. Und da er wirklich nur links und dann die lange Strasse hoch muss, denken wir, sollte es kein Problem sein. Doch als wir am Guesthouse vorbeidüsen und „Stopp“/„Stoi“ (Russisch)/ „Hotel“ etc immer lauter brüllen, versteht er trotzdem nicht, dass wir am Ziel angekommen sind. Noch absurder wird es, als er dann etwas darauf bei einem Hotel anhält und wir ihm erklären wollen, dass er umkehren soll und unser Guesthouse 3 Fahrminuten weiter hinten sei. Die Strasse ist eine Sackgasse und wir sind an dessen Ende, doch er versteht sehr lange nicht, was er machen soll. Wir sind nahe an der Verzweiflung, ihm das mit Händen und auf der Karten-App zu zeigen. Die Situation wird immer absurder, doch als er es versteht und am richtigen Ort hält, strahlt er über beide Ohren. Endlich angekommen begrüsst uns eine nette Familie auch mit Schäferhund. Sie haben einen riesigen Garten und eine eigene kleine Weinproduktion. Die Zimmer sind sauber, das Frühstück an diesem Ort lecker, frisch und abwechslungsreich. Wir verbringen 4 Nächte an diesem Ort, gehen etwas wandern, im schönen Fluss beim Wasserfall baden, die kleinen Second Hands im Dörfli begutachten und das abgemagerte Pferd füttern. Karin hat immer ein geschärftes Auge für all die vielen Feigenbäume am Wegrand und freut sich immer, wenn sie eine reife Frucht entdeckt.

Obwohl Seraina und ich in Kuba immer wieder gesagt hatten „Nie mehr ein Pferdeausritt“, sitzen wir ein Jahr später doch wieder auf Pferderücken und machen einen Ausritt nahe der aserbaidschanischen Grenze zu einer Burg-Ruine. Mitten im Wald ist ein Grenzposten, der eine Wächter mit rotem Kopf scheint entweder völlig übermüdet oder leicht angesäuselt und der andere ist wohl erst grad wach geworden. Wieso dieser Check und Eintrag ins Buch so lange dauert, weiss wohl nur die kleine Waldmaus. Für uns ist diese Grenzwache auf jeden Fall legendär. Die zwei Hunde, die mit uns auf den Ausritt mitgekommen sind, geniessen währenddessen ein paar Streicheleinheiten. Zum Glück sind wir nicht so erschlagen wie dazumals in Kuba, es war dieses Mal gemütliches Trotten und kein Galoppieren bei Unwetter.

Zurück im Guesthouse erfahren wir, dass das Felsenkloster an der Grenze zu Aserbaidschan leider im Moment keine gute Idee sei, zu besuchen. Wir erforschen das Internet und finden einige aktuelle Beiträge. Anscheinend ist das bekannte Kloster im Grenzgebiet immer wieder mal Streitgebiet und unklar, zu welchem Land es gehört. Wir entscheiden uns deshalb direkt wieder zurück nach Tbilisi zu gehen und dort nochmals etwas Zeit zu verbringen. Erneut in der gleichen, herzigen Wohnung geht unsere kleine Reise zu viert zu Ende. Wir essen nochmals im Restaurant, wo wir für sie Küche am ersten Abend zu spät waren und werden von einer Gruppe Einheimischer auf einen Krug Hauswein eingeladen. Vom Tisch nebenan prosten wir uns zu. Wie nett! Das würde uns in der Schweiz nicht so schnell passieren. Mit ein paar unser wärmsten Winterkleider und dem neuen Teppich im Zusatzgepäck hüpfen die beiden in den Bus, der sie zum Flughafen fährt. Wie schnell die zwei Wochen vorbei waren und wie komisch es sich anfühlt, dass sie nun plötzlich wieder weg sind! Noch in Gedanken an den Abschied versunken, schlendern wir die Strasse entlang und jemand ruft uns zu. Es ist in Tbilisi wirklich, als wären wir Zuhause. Wir erkennen Marina, die auch im Hippie Hostel gewohnt hatte und laden sie spontan mit Sadi abends zu uns ein, bevor wir uns endgültig von Sadi verabschieden. Wir gern würden wir Sadi zu uns einladen und ihm die Schweiz zeigen. Wie fest würden wir uns freuen, wenn er in sein geliebtes eigenes Zuhause, den Iran, zurück dürfte. Er erzählt uns nochmals wilde Geschichten aus seiner Kindheit, von Pantern in den Bergen und seinen kommunistischen Eltern, die er leider wegen der politischen Situation nie kennenlernen durfte. Ohne Pass kann er nicht so frei reisen wie wir. Und doch gibt er die Hoffnung nicht auf, dass er evt. mit Hilfe eines Freundes nach Indien kann und dort in einem Schulprojekt arbeiten darf. Bei Sadi weiss man nie, was er als nächstes ausprobiert. Ein sehr gebildeter Mann, gefangen in der aktuellen Einfältigkeit seines restriktiven Lebens. Wir sind glücklich, hatten wir Marina per Zufall gesehen und eingeladen, denn er war etwas verliebt in sie und wer weiss, wir sahen sie zusammen das Trottoir um Mitternacht in Tbilisi zur U-Bahn spazieren als wir ihnen ein letztes Mal winkten.

Wir zwei fahren am nächsten Tag nach Batumi zum tollen Künstlercafé. Leider ist dieses Mal Maya nicht da. Wir geniessen die Stadt und das Meer dieses Mal mit sommerlichen Temperaturen. Und dann gehts ab mit dem Bus in die Türkei. Doch was wir an diesem Grenzübergang erleben, haben wir bisher an den vielen Grenzen kein einziges Mal erlebt. Das Gedränge und Geschrei ist so heftig, das man meinen könnte, es gehe um Leben und Tod. Der Übergang ist so schlecht strukturiert, dass auch die Wachen aufgegeben haben, bei dem Gedränge einzugreifen. Wir, eigentlich ohne Platzangst, fühlen uns sehr unwohl und sind froh, als das Ganze vorbei ist. Wie das wohl schrecklich sein muss, wenn man wirklich in eine Massenpanik gerät.

In Trabzon an der Schwarzmeerküste angekommen, begrüsst uns ein kleiner türkischer Businessman und führt uns stolz in das Zimmer. Die Rufe des Muezzins sind nicht zu Verwechseln und die andere Atmosphäre in diesem Land ist direkt und stark spürbar. Es ist laut, chaotisch, die vielen Schilder an den Bars und Restaurants leuchten grell um die Wette und die verschiedenen Musikboxen drönen laut. Wenn der Muezzin jedoch zu rufen beginnt, wird die Musik in den meisten Cafés abgestellt. Trabzon befindet sich zwar direkt am Meer, der grösste Teil ist jedoch an einem ziemlich steilen Hügel. Strand-Ferien Gefühle kommen gar nicht auf, denn fast an der ganzen Schwarzmeerküste ist ziemlich direkt die Autobahn gebaut. Es hat viele Häuser, in einem ganz anderen Stil als im Georgien. Es scheint eng und die Läden sind gefüllt mit Materialien. Etwas, das schon lange nicht mehr unser Blickfeld gestreift hat. Wir merken, wie schnell wir uns jeweils an das Sichtbild und die Gegebenheiten gewöhnt haben. In Zentralasien waren die Regale spärlich eingerichtet, die Auswahl klein. Im Kaukasus auch eher, wobei da immer wieder Läden anzutreffen waren, die vollgestopft waren, aber oft so puffig, dass es teilweise schwierig war, zu finden was man suchte. Klar, in den Grossstädten sahen wir auch Kettenläden. Doch irgendwie fallen uns die vollen Läden im Trabzon speziell auf. Auch fällt uns auf, wie hoch die Trottoirs gebaut sind. Beinahe auf Höhe meiner Knie! Wie machen das wohl die älteren Menschen, wenn sie jedes Mal einen Känguru Sprung machen müssen, um die Strasse zu überqueren? In der Innenstadt geniessen die Menschen ihren Chay-Tee auf kleinen Stühlen an Mini-Tischen. Wir geniessen türkisches Essen, beobachten die vielen Touristen in Burkas und bestaunen das allgemeine Treiben und die scheinbar ganz andere Kultur. Wir entdecken ein Kino und versuchen einmal mehr, herauszufinden, ob es einen Film auf English gibt. „Yes“, antwortet die Frau hinter der Glasscheibe strahlend. Unsere Freude erlischt jedoch schnell, denn die Musikanlagen sind so laut eingestellt, dass ich mir schlussendlich während des ganzen Filmes die Ohren zuhalte und beinahe das Kino verlasse. Leider können sie nichts an der Lautstärke ändern, hiess es. Was für ein Kinobesuch! Auf dem längeren Nachhauseweg haben wir noch immer ein dumpfes Gefühl in unseren Ohren. Die Strassen sind teilweise kaum beleuchtet, im Finsteren tappen wir umher. Und plötzlich werden wir angeleuchtet von dem grellsten einzigen Strassenlampen-Licht, das uns für eine Minute danach fast blind erscheinen lässt. Zum Glück haben wir nebst den Ohren und Augen noch eine Nase. Auch wenn wir nicht den genialen Riechsinn der Hunde besitzen.

Wir überlegen hin und her, wohin es als nächstes soll. Der Süden sei sehr schön, jedoch nahe zur syrischen und irakischen Grenze und man müsse wissen, wohin, meint eine türkische Freundin aus London, die mir Tipps per Nachricht schreibt. Auch sind in der Türkei einige Websites gesperrt, es ist schwierig Unterkünfte zu buchen und das Internet ist langsam. Am Busbahnhof angekommen, diskutieren wir weiter und entscheiden uns dann, doch direkt bereits nach Istanbul zu fahren. Am Schalter angekommen, zeigt der Verkäufer nur auf seinen Kolleg und eine Handbewegung. Wir verstehen dann, dass wir ihm folgen sollen. Dieser hält auf der Strasse noch dem Bus an und wir hüpfen in letzter Sekunde noch auf den Bus. Puh! Das war wieder mal eine Spontanaktion. Die 20-stündige Busfahrt ist eigentlich ganz gemütlich. Bequemer Bus, etwas Film-Unterhaltung (obwohl die willkürlich immer wieder mal abstellt), wenig Kurven. Ein junger Türke übersetzt uns jedes Mal wie lange wir an den Stopps Zeit haben. Mitten in der Nacht gibt es wieder einen Stopp. Eine Frau schenkt uns draussen frisch geröstete Kichererbsen und so stehen wir lachend mit beiden Händen eine Schale formend und mehr als gefüllt mit den Kichererbsen draussen in der dunklen Nacht. Eigentlich haben wir keinen Hunger und können so kaum essen, doch zum Glück haben wir noch einen Sack und ich schenke dem Busfahrer auch etwas weiter. Im Bus drinnen kommt sie nochmals auf uns zu und schenkt uns Brot und ein paar Früchte - wie grosszügig!

Istanbul begrüsst uns mit einem Gratis-U-Bahn Ticket und das Hostel hat eine Dachterrasse mit tollem Ausblick. Für Silvio ist die Stadt Neuland, ich kenne sie bereits etwas. Istanbul ist gross und vielseitig. Die asiatischen und europäischen Stadtteile unterscheiden sich. Allgemein scheint am Morgen wenig los zu sein, dafür abends umso mehr: Schuhverkäufer, Stände mit Muscheln, Wassermelone, Wasser und Maiskolben schmücken das Strassenbild. Musikgruppen, viele Strassenkatzen und Döner-Verkäufer komplementieren das Ganze. In einer Gasse besuchen wir Ledermacher (Sohn und Vater) und weitere KünstlerInnen-Ateliers und Läden. Die Stadt gefällt uns, doch wir haben eine positive Antwort von einem Workaway Projekt gekriegt und so zieht es uns bald weiter nach Griechenland, das wir sowieso beide schon länger mal bereisen wollten. Die Busse in der Türkei und in Griechenland kommen uns riesig und komfortabel vor. In jedem Bus gibt es ein bis zwei Fahrer und zusätzlich jemand, der Tickets kontrolliert und sogar Getränke und Snacks serviert. Die Grenze zu Griechenland ist die einfachste auf dem ganzen Trip, nicht einmal das Gepäck möchten sie kontrollieren, wir sind erstaunt. Der griechische Busbegleiter gefällt uns mit seiner offenen und lustigen Art und als er dann noch das seriöse weisse Hemd nach der Grenze in ein typsich griechisch weiss-blau gestreiftes , lockeres T-Shirt wechselt, gefällt er uns noch mehr. Da wir feststellen, dass die Stadt, in die wir wollten, nur überteuerte Hotels hat und wir im Bus einen netten jungen Backpacker kennengelernt haben, entscheiden wir uns, mit ihm in die nächstgrösste Stadt Thessaloniki, die uns sowieso empfohlen wurde, weiter zu fahren. Per Zufall gelangen wir fürs Abendessen in ein leckeres Restaurant, das von vielen Einheimischen besucht ist und wirklich leckeres Essen anbietet. Wir sind im Essenshimmel! Hmhmhm, ein Stück Vertrautheit zurück. Das leckere Risotto, die feinen Oliven, frischer guter Fetakäse - das kennen und lieben wir. Thessaloniki hat eine touristische Seite, streicht man den Berg hoch in die abgewinkelten kleinen Gässchen, zeigt sich die Stadt noch von einer ganz anderen Seite. Interessante Graffitis und bewachsene Mauern dominieren das Stadtbild. Egal wo und was man bestellt, ein Glas frisches Wasser gibt es immer dazu. Und die Quittung gleich direkt beim Servieren des ersten Getränkes - damit man ja nicht vergisst, zu bezahlen. Auch in Athen, wo wir drei Tage verbringen, ist dies genau so. Wir finden zum Glück unsere Nischen nebst den obertouristischen Quartieren. Doch viel ist ausserhalb der Sehenswürdigkeiten nicht los, es sind grad drei Feiertage und die Stadt wirkt ausgestorben. Wir wollen unbedingt nach dem Inselaufenthalt nochmals in diese vielseitige Stadt. Morgens früh fährt der Bus zum Hafen. Silvio und ich schlafen standardmässig im Bus sofort ein und staunen dann kurz darauf über das Treiben und Gehen am Hafen. Unter den vielen Rollkoffer-Touristen scheinen wir die einzigen mit Rucksack zu sein. Griechenland ist eine grosse Feriendestination mit den zauberhaften Inseln. Der Tourismus fällt uns auch nach der Hauptsaison noch auf und wir erfahren, dass auf der Insel Santorini ein Liegestuhl am Strand 200 Euro (!!) pro Tag kostet. Nebenbei kennt man aus den Medien die schlechte wirtschaftliche Lage, viel zu hohe Steuern und viele geschlossene Geschäfte, heruntergekommene Häuser und viele Menschen, die auf den Strassen wohnen. Falls jemand auch Lust hat, den Dok über diesen Zwiespalt anzuschauen: https://youtu.be/HL-zncfrovE

Pedros empfängt uns auf der Insel Andros mit einem Namensschild. Pedros ist der beliebteste Taxifahrer von Sandy, die das Projekt leitet, und hat sich dank seiner Katzenrettung in ihr Herz geschlichen. Sandy ist gebürtige Engländerin, die nun jedoch genauso Griechisch wie English wirkt. Unsere Namen betont sie stark auf der Endung, wobei es dies so richtig griechisch erklingen lässt.Seit 40 Jahren wohnt die heute 70-jährige in Griechenland, erzählt uns die wildesten Geschichten aus ihrer Vergangenheit und wirkt mit ihrer Ausstrahlung doch auch ganz im Jetzt zu leben. Sandys Herz gehört den Tieren, die ihr fast wichtiger als Menschen sind, wie sie selbst sagt. Sie nimmt sich aber sehr viel Zeit, ihre vielen Volontäre genauer kennenzulernen und legt Wert darauf, gemeinsam zu kochen und zu essen. Ihre liebevolle und humorvolle Art drückt bei allem hindurch. Wir sind schnell in dem Volontär-Rhythmus eingelebt, doch an die vielen Tiere und den entsprechenden Gestank im Wohn-Haus gewöhnen wir uns bis am Schluss nicht. Leider gibt sie den Tieren wenig bis keine Struktur und verwöhnt sie dermassen, dass sie entweder zu dick oder zu faul wirken und genüsslich und unbeschämt von ihrem Teller die Sauce weglecken. Einige unserer Versuche, etwas mehr Struktur reinzubringen wirken bedingt, wir sind eine ständige wechselnde Volontär-Gruppe von 5 Menschen. So beunruhigen Sandy auch Bisse oder Kick-Angriffe der Esel nicht wirklich, was uns jedoch betrifft und Angst einflösst. Auf jeden Fall lernen wir hautnah den Umgang mit einer grösseren Gruppe jeweiliger Tierart und deren Sozial-und Essverhalten kennen. Die vielen Hundevideos des Hundeflüsterers kommen auch hier wieder zum Einsatz und so probiere ich, Selena, die junge Dobermannhündin mit Training in ihrer Leinenführigkeit und Impulskontrolle zu trainieren. Schwierig jedoch, wenn sie dann plötzlich fünf Minuten wunderbar läuft und die freien Schafe auf der Strasse sie dann wieder völlig aus dem Konzept werfen. Trotz der chaotischen Struktur bin ich in meinem Hundehimmel (18 Hunde!) und Silvio scheint langsam aber sicher ein Esels-Flüsterer zu werden. Wir füttern, misten, putzen viel,flicken, arbeiten etwas im Garten und rund ums Haus. Sandy hat immer wieder neue Aufgaben bereit und lässt einem auch genügend Zeit und Freiraum nachmittags für Hundespaziergänge oder „sünnelen“ auf ihrem weissen griechischen Flachdach. Das Haus ist mitten auf der Insel Andros im Nirgendswo. Die Sicht auf die Landschaft wunderbar, der Wind und die Wetterverhältnisse wechselnd und der Sternenhimmel zauberhaft. Wir leben gut zwei einhalb Wochen mitten in und mit der Natur und den Tieren! Am Wochenende haben wir jeweils zwei Tage frei und wir zwei wandern jeweils in die kleineren schönen Städtchen am Meer, vorbei an kleinen malerischen griechischen Dörfchen. Work-away (www.workaway.info für alle, die es interessiert, es gibt Projekte auf der ganzen Welt) ist wirklich eine tolle Alternative beim Reisen und lässt einem richtig eintauchen!

Nach diesen vielseitigen Wochen bei Sandy freuen wir uns auf die Weiterreise und etwas sauberere Schlafzimmer ohne Hundegebell mitten in der Nacht und morgens um vier Uhr. Sandy ist sehr berührt, freut sich über das kleine Taschenmesser und die witzig gemalte Karte (sie ist nebenbei auch künstlerisch tätig) und scheint den Abschied nicht leicht zu nehmen. Sie fährt uns an den Hafen und verabschiedet uns mit omahaften Küssen- ein sehr herzlicher und wertschätzender Abschied. Sandy hatte es auch sehr genossen, viel von unserer Reise zu hören und so gab es an zwei Abenden auch eine kleine Fotoshow an ihrem kleinen, blaugestrichenen Holztisch in der Küche. Links, rechts und unter dem Tisch wedelnde, nasenstupfende oder schnarchende Hunde. Von unserer Geschichte mit Loki war sie natürlich total begeistert und meinte mehrmals, diese Hündin müsste einfach bei uns sein können. Wir winken und verabschieden uns auch von Hund Jonny, dem kleinen Frechdachs, der schlussendlich doch ins Auto hüpfen durfte. So viel zu ihrer Konsequenz. Auf dem Schiff bestaunen wir ihr Buch mit den Bleistiftzeichnungen verschiedenster Tiere auf Andros.

Zurück in Athen geniessen wir nochmals ein paar Tage in der Stadt in einem neuen untouristischen Quartier, wo wir das leckerste Restaurant der ganzen Reise entdecken, zwei Mal reservieren und uns wie Einheimische fühlen. Diesmal ist mehr los in der Stadt und wir beobachten etwas mehr athenischen Alltag. Witzigerweise ist Anna, die ich vom Buchladen auf dem Hunzikerareal kenne, auch in Athen und wir treffen sie noch kurz vor unser Weiterreise mit ihren griechischen Cousins auf einen Kaffe mit Geplauder und Gelächter. Dann zieht es uns weiter nach Zentralgriechenland zu imposanten Felsenklöstern und bis an die Westküste, wo wir noch etwas Sommer am Meer geniessen, bevor wir mit dem Schiff am nach Italien fahren und auf 7 Monate reisen anstossen werden. Die Schiffsreise beginnt um Mitternacht und wir schlafen auf dem Deck, bei starkem Wind und direkt auf dem Metallboden. Dafür begrüsst uns Süditalien dann mit einem genüsslichen Espresso und leckerem Essen, hmm auf das haben wir uns lange gefreut! Wir geniessen noch etwas Italien und sind bald zurück. Von mehreren Seiten wurden wir schon gefragt, ob wir ein Empfangskomittee möchten, doch so schön das bei der Abreise war, haben wir uns entschieden, ganz alleine den Zürcher Bahnhof zu beobachten und in unserem Bahnhofs-Lieblingskaffee einen Kaffee schlürfen, das Zürcher Treiben beobachten und dann ein Fleischkäse-Semmeli geniessen, bevor es in unsere gemeinsame Wohnung geht. Und somit: auf ein neues Abenteuer!

Keine Angst, dies ist nicht das Letzte Mail, wir werden noch ein „best of“ Mail mit verschiedensten Erfahrungen der ganzen Reise rausschicken. Danke an alle, die immer wieder etwas zurück geschrieben haben und sich jeweils ungeduldig so aufs nächste Mail gefreut haben, als wäre es die neue Krimi-Serie des Sonntagabends.

Auf bald, mit Haut und Knochen 😉,
Bigna und Silvio